Glück ist deine Entscheidung - Mein Jahr bei den Ältesten und was ich von ihnen gelernt habe

Glück ist deine Entscheidung - Mein Jahr bei den Ältesten und was ich von ihnen gelernt habe

von: Silvia Aeschbach

mvg Verlag, 2019

ISBN: 9783961212576

Sprache: Deutsch

176 Seiten, Download: 4297 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Glück ist deine Entscheidung - Mein Jahr bei den Ältesten und was ich von ihnen gelernt habe



Die Kämpferin:
Suzette, 86


»I paid my bills.«

Dass ein »schwarzes Schaf« – als solches hat sich Suzette in ihrem Leben immer wieder mal gefühlt – mit zunehmendem Alter viele farbenprächtige Facetten entwickeln kann, und zwar nicht nur was das Äußere betrifft, beweist die 86-Jährige eindrücklich. Allerdings war es ein langer Weg, bis Suzette akzeptieren konnte, dass sie in vielem anders fühlt und Dinge anders wahrnimmt. »Schon früh habe ich gespürt, dass ich anders war als die Kinder in meinem Umfeld«, erzählt sie mir während unseres Gesprächs an einem sonnigen Vormittag in ihrem Zuhause. Und dieses »Anderssein« habe sich wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben gezogen. »Aber mit zunehmendem Alter und einer gewissen Reife habe ich gespürt, dass gerade diese Besonderheit, die sich in vielen Bereichen meines Lebens zeigt, die Grundlage für mein persönliches Glück war. Und immer noch ist.«

Zwischen diesem Gespräch und dem ersten Mal, als mir ihre außergewöhnliche Erscheinung in meinem Stammcafé aufgefallen war, liegen schon einige Jahre. Ein erster Hingucker waren ihre fast schulterlangen, flammend roten Haare, die einen spannenden Kontrast zu ihrem türkisfarbenen, weich fallenden Kleid boten. Über die schmalen Schultern hatte sie eine kurze orange Strickjacke gelegt, um den Hals, locker drapiert, einen roten Seidenschal. Darunter trug sie eine lange Silberkette mit einem Amulett, dazu verschiedene Armreifen.

Natürlich weckt eine solche Erscheinung Fantasien und straft gleichzeitig eigene Klischeevorstellungen. Denn tatsächlich schwankte ich damals zwischen Verwunderung und Bewunderung für ihren unkonventionellen Kleiderstil. Jedes Mal, wenn ich sie im Kaffeehaus wiedersah, zog sie mich von Neuem in Bann. Nicht nur wegen ihrer bunten Kleider, die sie geschmackvoll kombinierte, sondern vor allem wegen ihrer außergewöhnlichen Aura. Sie strahlte innere Gelassenheit und ruhiges Glück aus. Wenn sie lächelte, und dies tat sie oft, sah sie mit der kleinen Lücke zwischen den Vorderzähnen aus wie eine Mischung zwischen einer Waldfee, so wie ich sie mir als Kind vorgestellt hatte, und Rita Hayworth, dem Hollywood-Star aus den 1940er-Jahren.

»Die Rothaarige«, wie ich sie heimlich nannte, war meistens in Begleitung eines netten Herrn, der augenscheinlich jünger war als sie. Neugierig fragte ich mich, in welcher Beziehung sie zueinander standen. Es waren sicher nicht Mutter und Sohn, dazu war der Altersunterschied zu gering. Aber waren sie ein Paar? Obwohl sie diese besondere Vertrautheit ausstrahlten, war ich mir unsicher. Denn eigentlich beginnen sich doch langjährige Partner mit den Jahren äußerlich eher anzunähern. Sei es bezüglich der Kleidung, der Körperhaltung oder der Gestik. Aber dieses Paar konnte äußerlich nicht unterschiedlicher sein, doch irgendwie ergänzten sie sich auch. Sie, klein und zierlich, immer bunt gekleidet und kommunikativ, immer bereit, mit anderen Gästen des Cafés einen Schwatz zu halten. Er das offensichtliche Gegenteil: Groß gewachsen mit sportlicher Statur, das blonde Haar glatt und mit einem eher unauffälligen, klassischen Kleidungsstil, strahlte er eine gewisse freundliche Zurückhaltung aus. Es war klar, dieser Mann überließ den Auftritt seiner Begleiterin, die nicht nur meine Blicke auf sich zog. Lasen sie nicht gerade Zeitung, unterhielten sie sich lebhaft. Die beiden saßen sich am Tisch übrigens nur dann gegenüber, wenn sie keinen Platz fanden, um nebeneinander zu sitzen. Und nie tauschten sie öffentlich Zärtlichkeiten aus.

Mit der Zeit begann ich, zu rätseln, wer die Unbekannte sein mochte. Natürlich hätte ich die Bedienung fragen können, die ihre Stammkunden sicher besser kannte als ich. Aber mich reizte das »Kopfkino«, in welchem ich mir ausmalte, ob sie wohl eine ehemalige Balletttänzerin sei, wie mich ihre kerzengerade und grazile Haltung vermuten ließ. Eine Künstlerin, vielleicht eine Malerin, die ihre Liebe zu Farben in großen Ölbildern ausdrückt? Oder war diese Frau gar eine Heilerin, die mit ihren Energien Tiere und Menschen behandelte? Diese Variante gefiel mir am meisten, denn sie schien am besten zu dieser ungewöhnlichen Frau zu passen.

Eines Tages wurde meine Neugierde befriedigt – und dies auf eine überraschende Weise. Nicht, weil ich sie angesprochen hätte, sondern weil mir Suzette entgegenlächelte, als ich das großformatige Magazin einer Sonntagszeitung aufschlug. Unter dem Titel »Hier sehen die Jungen aber alt aus« posierte Suzette als Model in einer redaktionellen Modestrecke. Im ersten Moment hätte ich sie fast nicht erkannt. Sie war nicht mehr die alterslose, ätherische Waldfee in ihren gewohnt bunten Gewändern, sondern eine moderne, sehr präsente Frau mit einem umwerfenden Lachen. Wäre ich Agentin einer Modelagentur, hätte ich Suzette sofort unter Vertrag genommen. Und nicht zum ersten Mal dachte ich: Diese Frau hat unglaublich viele Facetten. Eine Ahnung, die sich später bewahrheiten würde. Denn neben ihrer scheinbaren Zerbrechlichkeit und der geheimnisvollen Aura, die sie stets umgab, zeigte sie sich hier kraftvoll und voller Energie. Ein sprichwörtliches Bild einer starken, glücklichen Frau, die vor Lebenskraft strotzt. Die selbstverständliche Eleganz, mit der sie in einem offen getragenen hellbeigen Designer-Trenchcoat posierte, war nicht aufgesetzt, sondern wirkte echt. Die gestylten Haare, die in große Wellen gelegt worden waren und das professionelle Make-up mit den leuchtend roten Lippen verliehen ihr einen glamourösen Eindruck. Eben: Rita Hayworth lässt grüßen! Fast erleichtert stellte ich fest, dass sie unter dem eleganten Mantel ein bedrucktes Kleid trug, das zwar nicht so auffällig bunt schien wie jene, in denen ich sie sonst sah, aber zusammen mit den auffälligen Accessoires war klar erkennbar: Diese Frau war, obwohl sie professionell gestylt wurde, ihrem Stil treu geblieben. Über diesen sagte sie im Interview mit dem Journalisten des Magazins: »Ich trage, was mich glücklich macht, und erfinde mich täglich neu. Mode ist für mich Fantasie, Fröhlichkeit und Inszenierung. Und sie macht mich immer wieder aufs Neue glücklich, weil ich durch sie meine verschiedensten Seiten ausleben kann.«

Nein, Suzette war kein professionelles Model, obwohl sie wie eines aussah. Und meine Ahnung hatte nicht getrogen. Laut dem Magazin war sie Physiotherapeutin und Heilerin. Kurz nachdem ich diese Fotos gesehen hatte, fasste ich mir ein Herz – es brauchte wirklich ein bisschen Überwindung – und gratulierte ihr, als ich sie das nächste Mal im Café sah, zu den gelungenen Aufnahmen. Sie strahlte mich an, bedankte sich, und von diesem Zeitpunkt an grüßten wir uns jedes Mal und wechselten ein paar Worte, wenn wir uns sahen.

Es sollte aber noch ein paar Jahre dauern, bis mir Suzette an einem heißen Sommertag in ihrem Zuhause die Geschichte ihres Lebens erzählen würde. Als ich die Arbeit an diesem Buch begann und herauszufinden versuchte, wie sich ältere Menschen ihr Glück erhalten oder gar erkämpft haben, war für mich klar: Sie musste dabei sein! Als ich sie mit meinem Wunsch ansprach, reagierte Suzette, wie ich es geahnt hatte: Sehr freundlich und ohne jegliche Eitelkeit bedankte sie sich und bat sich Bedenkzeit aus. Später würde ich erfahren, dass es nicht das erste Mal war, dass jemand Interesse an ihrer Geschichte zeigte; sie war schon von verschiedenen Seiten ermuntert worden, ihre Biografie zu schreiben oder schreiben zu lassen. Es war an mir, mich glücklich zu fühlen, als sie zusagte, Teil dieses Buches zu werden. Und kurze Zeit später durfte ich sie und Bernhard besuchen. Endlich hatte der sympathische Begleiter einen Namen.

Als ich Suzette – sie bot mir bei meinem Besuch sogleich das Du an – bei dieser Gelegenheit erzähle, dass sie mich bei früheren Begegnungen immer ein bisschen an eine Märchenfigur erinnert hätte, lacht sie herzlich: »Das hast du richtig gespürt. Ich gehe regelmäßig in den Wald, das ist mein Rückzugsort, denn dort kann ich meine Energien am besten aufladen. Und es ist der Ort, an dem ich mich am glücklichsten fühle, weil ich dann eins mit der Natur bin.«

Dass sie »besondere Fähigkeiten« besitzt, merkte sie schon früh. »Während ich als Physiotherapeutin arbeitete, hörte ich immer wieder, ich hätte heilende Hände«, sagt sie. »Aber es brauchte lange Zeit, bis ich diese Fähigkeiten akzeptieren konnte und lernte, zu meinem Wesen zu stehen. Aber ich habe je länger ich arbeitete, desto mehr gespürt: Diesen Weg muss ich für mein ganz persönliches Glück gehen.«

Suzette ist in einer kreativen, gradlinigen, sozial denkenden und handelnden Familie aufgewachsen. »Meine Eltern waren weltoffen geprägt für diese Zeit.« Schon früh entdeckte sie aber, dass sie anders dachte und anders empfand als andere. »Ich liebte es, Grenzen zu sprengen, und passte mich nicht den üblichen Normen an.« Dies stieß in ihrem Umfeld oft auf Unverständnis. »Ich hatte schon damals klare Sichten zur ›Anderswelt‹.« Sprich: Sie sah Dinge und Menschen, die andere nicht sahen. Dies wurde mit dem Ausspruch »Das Kind hat einfach zu viel Fantasie« quittiert. Suzette stieß mit ihrer Art zwar oft auf Widerstände, aber durchaus auch auf Bewunderung. Sie wagte Dinge, die andere gerne getan, aber nicht gewagt haben. »Ich habe zum Beispiel als Kind einmal unsere Quartierstraße abgesperrt, um Zirkusvorführungen mit dem Velo aufzuführen, bis die Polizei eingetroffen ist. Diese konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen«, erinnert sie sich schmunzelnd.

Einen großen Einfluss auf Suzette hatte ihr Großvater Ernst. Ihn bezeichnet sie »als großes Vorbild«. Er hatte sich...

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