Therapeutische Unterstützung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz - Das Tele.TAnDem-Behandlungsprogramm

Therapeutische Unterstützung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz - Das Tele.TAnDem-Behandlungsprogramm

von: Gabriele Wilz, Denise Schinköthe, Tanja Kalytta

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783840925467

Sprache: Deutsch

161 Seiten, Download: 2393 KB

 
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Therapeutische Unterstützung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz - Das Tele.TAnDem-Behandlungsprogramm



Kapitel 2 Bedarf und Wirksamkeit psychosozialer Unterstützung (S. 17-18)

In diesem Kapitel werden der Bedarf, die Anforderungen an hilfreiche Angehörigeninterventionen, der aktuelle Forschungsstand bezüglich spezifi - scher Interventionsstudien sowie daraus abzuleitende Empfehlungen für Angehörigeninterventionen bei Demenz vorgestellt.

2.1 Bedarf an hilfreichen Angehörigeninterventionen bei Demenz

In nationalen wie internationalen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung (wie Tagespfl ege, ambulante häusliche Pfl ege u. a.) Belastungen bei den pfl egenden Angehörigen reduzieren und zu einem längeren Verbleib des Demenzerkrankten im häuslichen Umfeld beitragen kann (Mittelman, Ferris, Shulman, Steinberg & Levin, 1996; Zank, Schacke & Leipold, 2007; Zank & Schacke, 2002). Paradoxerweise zeigt sich jedoch, trotz des hohen Bedarfs an professioneller Hilfe, eine relativ geringe Inanspruchnahme der verfügbaren Unterstützung. So nutzen pfl egende Angehörige wenig psychologische und pfl egerische Unterstützungsangebote (Brodaty, Thomson, Thompson & Fine, 2005; Georges et al., 2008; Lamura et al., 2006; Rother & Wilz, 2010; Schönemann-Gieck & Ehret, 2011; Weyerer & Schäufele, 2009; Zank & Schacke, 2006). In einer Längsschnittstudie zur Belastung pfl egender Angehöriger von demenziell Erkrankten gaben rund 19 % der Studienteilnehmer an, bei der Betreuung keinerlei Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Siebzehn Prozent der Pfl egenden wurden ausschließlich von Privatpersonen, 33 % ausschließlich von professioneller Seite unterstützt. Sowohl professionelle als auch private Unterstützung erhielten 31 % (Zank, Schacke & Leipold, 2007). In einer Querschnittsstudie mit 170 pfl egenden Angehörigen (Rother & Wilz, 2010) nutzten weniger als die Hälfte der pfl egenden Angehörigen (42 %) professionelle Hilfe. Insgesamt nehmen (Schwieger-) Töchter mehr Hilfe in Anspruch als pfl egende (Ehe-) Partnerinnen. Meist zögern Angehörige von Menschen mit Demenz lange, bis sie Fremdhilfe hinzuziehen (Schneekloth & Wahl, 2005).

Möglicherweise erreichen Informationen über bestehende Hilfsmöglichkeiten aufgrund der häufi g bestehenden sozialen Isolation Angehörige erst gar nicht. Pfl egende Angehörige verfügen oft nicht über angemessene Informationen hinsichtlich der Demenzerkrankung und Behandlungsmöglichkeiten sowie über mögliche Unterstützungsangebote. In einer Studie von Rother und Wilz (2010) gaben zum Zeitpunkt der Erstdiagnose 82 % der Angehörigen an, keine Informationen über verfügbare Unterstützung erhalten zu haben. In der Regel sind die Angehörigen zu beansprucht, um Hilfe zu suchen und geben an, keine Zeit zu haben, um Informationen einholen zu können. Teilweise wird auch kritisiert, dass die Information der Dienstleister zu umfangreich sei, um diese überblicken und vergleichen zu können (Rother & Wilz, 2010).

Als weitere Barrieren der Inanspruchnahme werden zu wenig Zeit, organisatorische Probleme, zu wenig fi nanzielle Ressourcen und körperliche Beschwerden aufgeführt ( Cox, 1997). Bei außerhäuslichen Angeboten, vor allem in ländlichen Gebieten, kann zudem Angst vor der Reaktion anderer bestehen oder die Furcht, dass z. B. in Angehörigengruppen geäußerte Informationen nicht vertraulich behandelt werden (Morgan, Semchuk, Stewart & D’Arcy, 2002). Bei innerhäuslichen Angeboten beklagen Angehörige einen Verlust der Privatsphäre. Sie möchten keine fremden Personen im Haushalt, unter deren Beobachtung sie sich kontrolliert fühlen (Cox, 1997; Gottlieb & Johnson, 2000; Roelands, Van Oost & Depoorter, 2008). Bei den Pfl egenden kann des Weiteren Scham bestehen, Hilfe zu erfragen oder diese anzunehmen (Winslow, 2003). Die Befürchtungen der Angehörigen vor Entfremdung und Distanzierung zum Erkrankten oder dass z. B. ein Tagesstättenbesuch die Sorge um das Wohl des Patienten erhöhen und starke Unruhe verursachen könnte, stellen weitere wichtige psychologische Barrieren der Inanspruchnahme dar (Schacke & Zank, 1998).

Auch die Ablehnung von Hilfe durch den zu Pfl egenden, fehlende Akzeptanz der professionellen Hilfe durch die Angehörigen, sowie Schuld- und Verpfl ichtungsgefühle der Angehörigen werden als wichtige Barrieren diskutiert (Grässel, Luttenberger, Römer & Donath, 2010; Laube, 2010). Die dargestellten ausgewählten Befunde zeigen, dass der Entscheidungsprozess, ob und welche professionellen Hilfen genutzt werden, komplex und insbesondere auch von individuellen Bewertungsprozessen der Situation abhängig ist und bisher wenig untersucht wurde.

Psychologische Interventionen zur Prävention und Reduktion belastungsbedingter Folgeerkrankungen für Angehörige von Demenzerkrankten sollten daher speziell auch diese psychischen Barrieren der Inanspruchnahme berücksichtigen. Die Modifi kation von behindernden Einstellungen zur Inanspruchnahme von Unterstützung (Veränderung dysfunktionaler Gedanken) und die Förderung der Annahme und Nutzung von entlastenden Hilfsangeboten sind daher als wesentliche Ziele von professionellen Angehörigeninterventionen zu betrachten.

2.2 Anforderungen an hilfreiche Angehörigeninterventionen bei Demenz

Die in Kapitel 1 dargestellten spezifi schen Herausforderungen der Pfl ege von Demenzerkrankten erfordern die Berücksichtigung vielfältiger Themen und Inhalte in den Angehörigeninterventionen, die im Folgenden zusammenfassend aufgelistet sind:
• Wissensvermittlung hinsichtlich Demenz, finanzieller und juristischer Fragen und Unterstützungsangeboten.
• Modifikation der Bewertung von Krankheitssymptomen zur Förderung des Verstehens und Akzeptierens der Erkrankung.
• Vermittlung von Strategien und Hilfen für den Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und die Förderung von Problemlösekompetenzen.
• Bewältigung und Akzeptanz der neuen Rolle.
• Unterstützung bei der Verarbeitung des Beziehungswandels und der krankheitsbedingten Verluste sowie hinsichtlich belastender Emotionen wie Trauer, Ärger, Wut, Schuld, Scham und Angst.
• Verbesserung der Wahrnehmung von Belastungsgrenzen und Förderung von Selbstfürsorge und der Berücksichtigung eigener Bedürfnisse.
• Identifikation dysfunktionaler Gedanken und Schemata bzgl. der eigenen Leistungsfähigkeit und Verantwortungsübernahme.
• Abbau von Barrieren der Inanspruchnahme professioneller und sozialer Unterstützung.
• Förderung hilfreicher, positiver familiärer Beziehungen sowie gemeinsamer positiver Aktivitäten mit dem Demenzerkrankten.

Um für die genannten unterschiedlichen Problembereiche eine adäquate Unterstützung anbieten zu können, ist ein breites Spektrum an Interventionsstrategien notwendig. Die Analyse der Art und Häufi gkeit der in bisherigen Studien eingesetzten Interventionsmethoden zeigt jedoch, dass bisher jeweils nur ein Teil der Problem- und Belastungsbereiche fokussiert und meist nur ein begrenztes Repertoire an Interventionsstrategien eingesetzt wurde (Kurz & Wilz, 2011). Am häufi gsten werden Strategien zur Verbesserung der Problemlösefähigkeit eingesetzt, an zweiter Stelle der angewandten Interventionen steht die Wissensvermittlung und an dritter die Anleitung zur Selbstfürsorge. Wesentlich seltener werden die Erweiterung des Hilfenetzes sowie die Modifi kation von Einstellungen und Bewertungen fokussiert. Die Bearbeitung des Rollenwandels und die Auseinandersetzung mit den krankheitsbedingten Verlusten werden in den bisher vorliegenden Studien kaum berücksichtigt (Kurz & Wilz, 2011).

2.3 Darstellung des aktuellen Forschungsstands zu wissenschaftlich evaluierten Interventionsstudien

Wissenschaftlich evaluierte Interventionskonzepte mit psychotherapeutischen Inhalten für pfl egende Angehörige wurden fast ausschließlich im englischsprachigen Raum entwickelt, wobei meist Wissensvermittlung mit anderen Hilfestellungen kombiniert wurde. Acton und Winter (2002) bezeichneten den Forschungsstand der bis zum Jahr 2002 publizierten Studien zu Interventionen für pfl egende Angehörige als enttäuschend und machten dafür eine Reihe von Forschungsdefi ziten verantwortlich, u. a. die geringe methodische Qualität vieler Studien (z. B. unzureichende Stichprobengröße, fehlende Verblindung der Beurteiler, keine Kontrollgruppe).

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