Verdacht Demenz - Fehldiagnosen verhindern, Ursachen klären - und wieder gesund werden

Verdacht Demenz - Fehldiagnosen verhindern, Ursachen klären - und wieder gesund werden

von: Cornelia Stolze

Verlag Herder GmbH, 2016

ISBN: 9783451809224

Sprache: Deutsch

320 Seiten, Download: 4421 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Verdacht Demenz - Fehldiagnosen verhindern, Ursachen klären - und wieder gesund werden



2. Kapitel

Die 10 wichtigsten Symptome, die auf Demenz hindeuten können – aber nicht müssen


Den Namen eines Bekannten vergessen, das Haus des Freundes nicht gefunden, den Schlüssel verlegt? Ab einem gewissen Alter macht man sich bei solchen Gedächtnisschwächen manchmal große Sorgen und fragt sich leicht: Sind das jetzt die ersten Anzeichen von Demenz? Das Erstaunliche ist: Selbst Experten können das nicht sicher wissen. Denn eindeutige Symptome, Kriterien oder Tests für eine zuverlässige Diagnose »Demenz« gibt es nicht (siehe Kapitel 1).

Als Hauptmerkmal einer Demenz gilt eine Verschlechterung der geistigen (kognitiven) Fähigkeiten im Vergleich zu einem früheren Zustand. In erster Linie davon betroffen ist nach offizieller Definition das Gedächtnis, und hier vor allem das Kurzzeitgedächtnis. Im Laufe der Zeit kommen demnach jedoch andere Defekte hinzu – wie Wortfindungsstörungen, nachlassendes Denkvermögen, Konzentrationsstörungen oder Rechenstörungen. Menschen mit Demenz haben zum Beispiel laut Alzheimer-Gesellschaft typischerweise zunehmende Schwierigkeiten, die Mitteilungen anderer zu verstehen, Situationen zu überblicken, Zusammenhänge zu erkennen, zu planen und zu organisieren, sich örtlich oder zeitlich zurechtzufinden und mit Gegenständen umzugehen.

Doch nicht nur das. Angeblich kommen im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz auch nahezu zwangsläufig Wesensveränderungen und Verhaltensstörungen wie zielloses Umherirren, Aggression, Unruhe, Verzweiflung, Schlafstörungen, Essen von Unessbarem, Wahnvorstellungen sowie krankhafte Unruhe mit Bewegungsstörungen und zum Teil sogar psychotische Anfälle hinzu. Zustände, die für Außenstehende mitunter grotesk und bedrohlich wirken. Kein Wunder also, dass viele Menschen kaum eine Krankheit so sehr fürchten wie Demenz. Die Crux daran ist nur: All diese Symptome sind keineswegs sichere Anzeichen einer Demenz. Sowohl kognitive als auch psychische und motorische Störungen bei älteren Menschen können eine Vielzahl von Ursachen haben, von denen sich viele beheben lassen oder deren Auftreten sogar verhindert werden kann. Tatsächlich werden die Symptome häufig durch übersehene Probleme wie falsche oder überdosierte Medikamente, Unterzuckerung bei Diabetes oder Operationen ausgelöst. Der Eindruck jedenfalls, die Störungen kämen aus heiterem Himmel und seien fast immer die Folge einer schicksalhaften, unvermeidbaren Krankheit, ist schlichtweg falsch.

1. Gedächtnisstörungen und Vergesslichkeit


Gedächtnisstörungen und Vergesslichkeit können zu erheblichen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit führen. In der Tat kennen wir solche Situationen fast alle aus eigener Erfahrung. Da hat man zum Beispiel morgens verschlafen, gerät unter Stress, weil man zu einem dringenden Termin pünktlich im Büro sein muss – und prompt passiert es, dass man beim Verlassen der Wohnung die Tür hinter sich zuzieht und den Schlüssel innen liegen lässt. Oder aber man ist auf einer Party, hat viel zu viel Alkohol getrunken und hat anschließend Schwierigkeiten, den Weg nach Hause zu finden. Doch was genau versteht man eigentlich unter »Gedächtnis«? Und wovon hängt es ab, dass es funktioniert? Im neurologischen Sinne bezeichnet Gedächtnis die Fähigkeit unseres Nervensystems, aufgenommene Informationen zu verarbeiten, zu speichern und wieder abzurufen. Die gespeicherten Informationen sind also das Ergebnis von bewussten oder unbewussten Lernprozessen.

Ist das Gedächtnis eines Menschen nicht mehr intakt, kann die Störung unterschiedliche Ebenen und Funktionen betreffen. Das hängt maßgeblich von der Ursache ab, die die Störung bedingt. Möglicherweise ist nur die Aufnahme von Informationen beeinträchtigt, möglicherweise liegt das Problem aber auch beim Behalten oder aber beim Abrufen der Informationen. Manchmal sind die Störungen stärker bei sprachlichen Inhalten ausgeprägt, manchmal mehr bei nichtsprachlichen. Mediziner unterscheiden daher verschiedene Aspekte und Systeme des Gedächtnisses – zeitliche und inhaltliche. Viele der Erkenntnisse, auf die sie sich dabei stützen, stammen aus Studien an Patienten, die zum Beispiel einen Schlaganfall oder eine Schädel-Hirn-Verletzung erlitten haben und dadurch eine Schädigung in einem bestimmten Areal ihres Großhirns aufweisen. Oder aber von Menschen, denen – zum Beispiel aufgrund eines Tumors – in einem konkreten Bereich des Gehirns ein Teil der Hirnsubstanz entfernt werden musste.

Kurzzeit-, Langzeit-, prozedurales Gedächtnis: Welcher Bereich ist überhaupt betroffen?


Das Kurzzeitgedächtnis ermöglicht es uns, eine begrenzte Anzahl von Informationen einige Minuten bis Stunden im Gedächtnis zu behalten. Das bedeutet, dass wir zum Beispiel ein Bild, das wir nur kurz gesehen haben, auch noch mehrere Stunden später im übertragenen Sinne vor Augen haben und uns vergegenwärtigen können, obwohl es für uns nicht mehr sichtbar ist. Ähnliches gilt für Musik: Eine Melodie erscheint uns als Ganzes, obwohl die einzelnen Töne längst verklungen sind, und wir können sie beispielsweise aus dem Gedächtnis nachsingen oder -pfeifen. Wir können im Kopf rechnen oder einen Text lesen und verstehen, weil wir die aneinandergereihten Zahlen oder Worte im Gedächtnis abspeichern und so den Sinn der Sätze erkennen.

Genau diese Fähigkeiten sind bei vielen Menschen mit dem Verdacht Demenz teilweise gestört. Mediziner berichten beispielsweise von Patienten, die zwar noch bestens über Erlebnisse aus ihrer Schulzeit berichten können, aber am Nachmittag kaum noch in der Lage sind, den Inhalt eines Gesprächs oder der Nachrichten vom Vormittag wiederzugeben, obwohl sie das Gespräch oder die Nachrichten aufmerksam und konzentriert verfolgen konnten. Das heißt: Das Kurzzeitgedächtnis ist zwar defekt, nicht aber das Langzeitgedächtnis, in dem Informationen zum Teil Jahre oder gar ein Leben lang gespeichert werden.

Je nach Art des Inhalts werden Informationen anders gespeichert


Unterschiede gibt es auch in der Art von Informationen, die ein Patient noch im Gedächtnis hat – oder eben nicht. Das episodische Gedächtnis zum Beispiel umfasst das Behalten und Erinnern von persönlichen Erlebnissen wie etwa die eigene Hochzeit, die Geburt der Kinder oder die bestandene Diplomprüfung. Als semantisches Gedächtnis bezeichnet man das Behalten und Erinnern von Faktenwissen, wie zum Beispiel, dass Berlin die Hauptstadt von Deutschland ist oder am 24. Dezember Weihnachten ist. Beim prozeduralen Gedächtnis geht es um Fertigkeiten, die wir normalerweise unbewusst oder automatisiert ausführen und deren Ablauf wir sprachlich gar nicht unbedingt gut beschreiben können, etwa Schuhe zubinden, Fahrrad oder Auto fahren oder Schwimmen.

Jede dieser Unterarten von Gedächtnis kann durch eine Hirnschädigung beeinträchtigt sein. Und zwar sowohl einzeln als auch in Kombination. Die Ausprägungen von Lern- und Gedächtnisstörungen sind also sehr unterschiedlich. Aussagen von Betroffenen wie »Ich kann mir Dinge nicht mehr so gut merken« oder »Ich habe Gedächtnisprobleme« können demnach vieles bedeuten. Erst durch spezielle Diagnostikverfahren lässt sich herausfinden, welche Gedächtnisbereiche betroffen sind – und welche nicht.

Krankhafte Erinnerungslücken: Amnesie


Unser Gedächtnis ist etwas Trügerisches: Wir glauben, dass unser Gehirn Erlebtes eins zu eins speichert und dieses Gespeicherte auch jederzeit wieder abrufbar ist. Aus einer Vielzahl von Gründen ist dieser Prozess jedoch viel komplexer und auch fehlerbehaftet. Schon allein deshalb, weil uns nicht alles, was wir sehen, hören, riechen, wichtig ist. Deshalb bleibt auch nicht alles, was wir erfahren, in unserem Denkorgan »hängen«. Und auch das »falsche« Erinnern gehört immer wieder zur normalen Funktionsweise des Gehirns. Dennoch gibt es Erinnerungslücken, die so auffällig sind, dass sie ein deutlicher Hinweis auf eine krankhafte Schädigung des Gehirns sind. Mediziner bezeichnen solche Erinnerungslücken als Amnesie. Dabei handelt es sich um eine Gedächtnisstörung, durch die der Betroffene entweder nicht mehr auf alte Erinnerungen zugreifen oder aber Neues nicht mehr abspeichern kann. Nicht immer sind dabei alle Gedächtnis­inhalte in gleicher Weise betroffen. Was lange zurückliegt, ist oft besser zugänglich und abrufbar, vor Kurzem Gespeichertes dagegen nicht. Beeinträchtigt ist bei einer Amnesie vor allem das episodische Gedächtnis, also jene Funktion, mit der Informationen über das persönliche Leben gespeichert werden. Das prozedurale Gedächtnis (Schuhe binden oder Fahrrad fahren) dagegen bleibt in der Regel davon unberührt.

Fachleute unterscheiden vor allem zwei Formen der Amnesie. Bei einer anterograden Amnesie können sich die Patienten nach einem bestimmten Zeitpunkt neue Dinge nur noch für wenige Minuten merken und im Gedächtnis behalten. Ein typischer Fall sind Erinnerungslücken, die nach einer Hirnverletzung durch einen Sturz oder Verkehrsunfall auftreten: Ab diesem Ereignis können sich die Betroffenen zum Beispiel Menschen nicht gut merken und haben am nächsten Tag vergessen, dass sie die Person schon kennengelernt haben. Oder aber sie halten Termine nicht ein, weil sie sich nicht daran erinnern können, diese vereinbart zu haben.

Das Tückische daran: Die Betroffenen selbst vergessen relativ schnell, dass sie eine Verabredung vergessen und den Freund oder die Bekannte versetzt haben. Für Außenstehende, die das nicht wissen, erscheint dadurch mitunter der Eindruck, dieser Person sei es mehr oder weniger »egal«, dass sie die jeweilige Verabredung oder den wichtigen...

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