Alter Mann

Alter Mann

von: Franz Hessel

Saga Egmont, 2017

ISBN: 9788711506929

Sprache: Deutsch

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Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Alter Mann



II


Am nächsten Morgen hatte Küster verschiedene musikalische Unterhaltung. Um neun Uhr stand schon einer unten im Hof, in schäbigem Rock, einen runden steifen Hut auf dem Kopf aus besseren Tagen. Er hatte ein blasses Mädchenkind an der Hand, das um ihn tänzelte und manchmal mit greller Kinderstimme mitsang. Das hob die Groschen auf, die heruntergeworfen wurden, pellte sie aus den Papieren und warf die Papiere brav säuberlich in den Müllkasten. Mit Engelsblick sah sie empor. Ihr Blick traf auf den alten Küster. Er war gerührt, obwohl er sich sagen mußte, daß dieser Blick schon Routine war. Um zehn kamen zwei Frauen in den Hof, schleppten zusammen eine große Harfe an. Die eine hatte einen Klappstuhl unterm Arm. Der wurde postiert und die Harfenistin drauf. Sie stellte dann, während die andre sang, beim Begleiten den einen Fuß auf die Leiste des Instruments. Kaum hatten die ihr Instrument wieder weggeschleppt, so erschien ein munterer Klumpfuß und sang mit Juchzern zur Ziehharmonika: »Anne Marie, komm in die Laubenkolonie.« Er juchzte sehr laut, und Küster am offnen Fenster überhörte, daß an seine Tür geklopft wurde. Mit einmal stand seine Tochter Hilde neben ihm: »Papa, ich habe eine Bitte.« Blaß war sie und hatte die schwermütige Üppigkeit ihrer Mutter. Sehr müde waren ihre Augen.

»Was hast du, mein Kind?«

»Ich muß ein paar Tage verreisen, eine geschäftliche Sache, von der ich nicht sprechen will aus Aberglauben, daß es sonst wieder nichts wird. Wenns was wird, wär es gut für uns alle. Hier in dem Umschlag sind ein paar Briefe, die bitte ich dich abzuschicken, wenn du von mir hörst. Ich möchte, daß sie von Berlin aus abgeschickt werden. Verstehst du?«

»Na so hab ich wenigstens mal wieder die Freude deines Besuchs. Aber darf man fragen, warum du diese Briefe gerade mir anvertraust?«

»Bei allen andern hab ich Angst, sie sehen nach, was drin steht. Du aber, Papa, du bist so ritterlich ...«

»Mein gutes Kind, was bleibt mir übrig. Ich habe kein Recht mehr, mich in die Angelegenheiten meiner Töchter zu mischen. Erstens sind die Zeiten der väterlichen Autorität sowieso vorüber. Ob zum Guten oder Schlechten, das werden die entscheiden, die nach uns kommen. Und dann in meinem besondern Fall, ich bin euch beiden ja so dankbar, daß ihr für den alten Bankerotteur ...«

»Laß gut sein Papa, man kann von einem Sechsundsechziger ...«

»Bald Siebenundsechziger ...«

»Also von einem Siebenundsechziger nicht verlangen, daß er heutzutage Geld verdient. Übrigens hast du nicht doch wiedermal was verdient mit deinen Bildchen?«

»Ja, denk dir, vorgestern ist doch mein Zigarrenfritze gekommen mit zwei Herren. Es war sehr komisch. Ich weiß nicht, ob das nun wieder Händler oder direkte Käufer waren. Sie stellten sich vor: ›Runkel mein Name. Gestatten Untermanns.‹ Wie Drogisten sahen sie aus. Das nächste Mal wollten sie mit ihren Damen wiederkommen. Sie haben wirklich gleich zwei Stück gekauft. Und der eine hat einen Disput mit mir angefangen über Birkenlaub. Er fand ein Birkenbild sehr schön, nur wäre das Laub nicht ganz richtig.«

»Kannst dus ihm nicht ummalen?«

»Wollen mal sehn.«

Ja, nun hatte er mit seinem Verdienst, der sich auf etwa 30 Mark belief, geprahlt (und vor Hilde prahlte er gern) und konnte deshalb nicht gleich darauf zu sprechen kommen, daß er sie um Reisegeld bitten wollte. Sie war auch in Eile. Nochmal bat sie ihn, die Briefe erst dann abzuschicken, wenn er von ihr gehört habe. Er bekam einen Kuß auf die Stirn und auf beide Backen und hatte das Gefühl, daß diese Liebkosungen, die sonst flüchtig ausgeteilt wurden, heute besonders zärtlich waren.

Was waren das für Geschäfte? Oder war da ein Geheimnis andrer Art? Bei Hilde war beides möglich. Seit dem Tod ihres Ehemannes im letzten Jahr des Weltkriegs hatte sie mit den schwindenden Resten seines stattlichen Vermögens allerlei Geschäfte als muntere Dilettantin der Inflationszeit, die auch in den folgenden Jahren den Geist dieser kuriosen Periode nicht los wurde, versucht. Ernster und gründlicher hatte sie die Liebesregungen ihrer leidenschaftlichen Natur genommen. Ihr Ehemann, erheblich älter als sie, tüchtiger Weingroßhändler und bedächtiger Genießer aller Lebensfreuden, hatte sie verwöhnt, ohne sie zu beseligen. Neben diesem breiten, bärtigen, zur Apoplexie neigenden Manne war sie sich oft vorgekommen wie die arme Königstochter, die ihr gutes Ungeheuer kraulen muß in der Hoffnung, es werde sich eines Tages märchengemäß verwandeln. Ihrs aber starb vorher, überließ sie mit einem Töchterchen der wirklichen Welt und den vielen jüngeren und rücksichtsloseren Männern, die schon immer und nicht immer unbemerkt nach ihr Ausschau gehalten hatten. Ein paar Jahre war sie mit einem hochaufgeschossenen, blassen Kunsthistoriker und Kunsthändler verheiratet, den sie mehr verwöhnte, als er vertrug. Sein zarter Umgang und sein Geschmack, mit dem er ihr Heim und Gemüt ausstattete, war für sie wohltuend und lehrreich, und doch fühlte sie bald, sie habe noch mehr zu lernen und zu wagen. Der düstre Musiker, demzuliebe sie geschieden wurde, war vielleicht nicht so sehr schuld an dieser Trennung wie ihre weitergreifende Sehnsucht, die leider nie den Mars fand, der wohl am ehesten diese Venus voll beglückt hätte. Und so lebte sie denn in einem Allerlei von halben oder besser bruchstückhaften Abenteuern, in die sie sich aber nie leichtfertig, sondern immer mit innigem Ernst einließ. Um manche wußte der Vater, manche ahnte er. Anfangs versuchte er ihr Vorhalte zu machen oder doch Ratschläge zu geben. Aber sie wußte ihn immer zurückzuweisen. Einmal sagte sie: »Warum habt ihr damals mich junges Ding mit einem alten Mann zusammengetan?« Ein ander Mal: »Wenn deine Kinder heißes Blut haben, so haben sie es von dir geerbt.« Und dagegen war, zumal es ihm schmeichelte, nichts einzuwenden. Auf das Vorrecht der Männer, die in seiner Jugend freier leben durften als die Mädchen, getraute er sich nicht anzuspielen, denn dann hätte er allerlei zu hören bekommen.

Und so erlaubte er sich auch jetzt nicht, über den Auftrag seiner Tochter nachzudenken, und verwahrte, ohne es weiter zu untersuchen, das Briefpaket in der Schublade des gebrechlichen Möbels, das ihm als Eßtisch, Schreibtisch und Büchergestell diente. Da scholl wieder ein Lied an sein Ohr und lockte ihn ans offne Fenster. Diesmal war es kein Lied von der Liebe, weder von der kecken noch von der unglücklichen, weder vom Mütterlein noch von der Heimat, noch von dem in diesen Hinterhöfen zwischen Mülleimer und Stange zum Ausklopfen ganz sagenhaft anmutenden Flusse Rhein. Und das Sängerpaar, das sichtbar wurde, Mann und Weib, hatte auch kein Instrument zur Begleitung. Mit leeren Armen standen sie da und sangen das Lied von der Arbeitslosigkeit, fünf Strophen, jede fing an:

»Arbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit,

o, wie bringst du uns so weit«

und endete

»Arbeitslosigkeit, Arbeitslosigkeit,

du bringst uns weit.«

Seltsamerweise hatten die Sänger mit ihren eintönigen Strophen, denen sie nicht einmal die übliche kleine Ansprache voran- oder nachschickten, die um eine kleine Gabe bittet und Auskunft über die Not des Sängers gibt, mehr Erfolg als ihre Kollegen mit Instrumenten und wechselnden Liedern. Dienstmädchen und Köchinnen der Hofzimmer, Schreibmaschinenfräulein und Nähmädchen der Büros und Betriebe blieben lange ans Fenster gebannt, obwohl es doch fast nichts als dies eine Wort zu hören gab: Arbeitslosigkeit. Es war wie ein Kampfschrei, eine Parole wie einst die alten Wahnworte Freiheit und Gleichheit. »Sonst haben die Lieder der Hofsänger eigentlich immer abgelenkt von der materiellen Not«, dachte Küster, »wenn nicht zu munteren Dingen, so doch zu feineren Nöten wie Liebesgram oder Heimweh. Aber jetzt, anno 1931, bekennen sie fast stolz die Arbeitslosigkeit. Es ist wie die Ankündigung einer neuen Art Arbeit, die beginnen soll.« Und da fühlte er sich plötzlich sehr alt: »Werd ichs noch erleben? Ich und die Leute, zu denen ich gehörte, haben meistens gearbeitet um der schönen Muße willen. Wir habens uns sauer werden lassen in der Woche, damit der Sonntag um so schöner werde. Aber für die von heute ist die Muße eine Not, und Arbeitbekommen ein Sehnsuchtsziel. Wir haben Besitz erworben. Der ist hingeschwunden, erst das Geld selbst und dann all die Möbel. Und vieles, was früher Bedürfnis war oder zum sogenannten anständigen Auftreten gehörte, haben Menschen wie ich aufgegeben, ohne dadurch unglücklicher geworden zu sein, als wir ohnedies waren. Ich, ich bin wohl nur unglücklich geworden durch Dinge, die nichts mit gegenständlichem Besitz oder Verlust zu tun hatten. Ich glaube, mir liegt gar nichts mehr an Besitz. Was hab ich denn noch außer dem Notwendigsten?« Er öffnete die Tischschublade. Da lag eine Korallenkette zusammengerollt, Kügelchen aus hellerem und dunklerem Rot. Kranke Korallen nannte man das. Seine langverstorbene Frau hatte sie als Kind getragen.

Da war eine Locke seiner Lella, eine weißblonde Kinderlocke. Dann Photos beider Kinder in einem altväterischen Portefeuille. Ein perlenbesticktes uraltes Notizbuch seines Vaters (es enthielt Silbergroschenrechnungen und haarfeine Bleistiftzeichnungen von Architekturteilen, der Vater war Baurat gewesen). »Was besitz ich denn?« dachte Küster. »Amulette, Erinnerungsbehälter. Unbezahlbares, denn es würde mir ja nie jemand etwas dafür zahlen. Dinge, die keinen Tauschwert haben. Imponderabilien. Mehr wunderbar als schön.«

»Was ist nur mit Frau Hilde?« fragte das Fräulein Lilo, die ihm auf der Treppe begegnete. »Sie ist so scheu und eilig an mir vorbei über den Hof...

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