Von Quotenfrauen und alten weißen Männern - Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!

Von Quotenfrauen und alten weißen Männern - Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!

von: Annahita Esmailzadeh

Campus Verlag, 2023

ISBN: 9783593454733

Sprache: Deutsch

240 Seiten, Download: 6215 KB

 
Format:  EPUB, auch als Online-Lesen

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Von Quotenfrauen und alten weißen Männern - Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt!



1Warum es dieses Buch geben muss


Ich erinnere mich noch so lebhaft daran, als sei es erst gestern gewesen. Es ist ein warmer Sommertag im Jahre 2012. Ich, Anfang 20 und Studentin der Wirtschaftsinformatik mit Bestnoten in Softwareentwicklung, habe meinen ersten Arbeitstag als Praktikantin in der Entwicklungsabteilung eines mittelständischen deutschen IT-Unternehmens. Ich stehe etwas verloren und sichtlich nervös im Gang meiner neuen Abteilung und halte Ausschau nach meinem neuen Team. Während ich warte, zupfe ich meine senfgelbe Bluse zurecht, die ich mir eine Woche vorher zugelegt habe, und überlege, ob ihr vielleicht doch ein Bügeleisen gutgetan hätte. Als nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ein freundlich aussehender, etwas rundlicher Mann mit einem übergroßen schwarzen AC/DC-Shirt barfuß an mir vorbeiläuft und mir kurz lächelnd zunickt, wittere ich meine Chance und stürme unvermittelt auf ihn zu. Der Mann blickt mich, zwar immer noch recht freundlich, aber nun auch etwas irritiert an: »Kann ich dir weiterhelfen?«, fragt er mich und zieht dabei seine buschigen Augenbrauen sichtlich skeptisch hoch. »Ja, sehr gerne! Ich heiße Annahita – freut mich sehr, dich kennen zu lernen! Ich habe heute meinen ersten Arbeitstag. Ich mache ein mehrmonatiges Praktikum hier und freue mich schon sehr!«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen, ohne Luft zu holen. Der skeptische Blick des freundlichen Herrn wandelt sich nun in ein amüsiertes Schmunzeln: »Hi, Anita, herzlich willkommen! Du hast dich leider nur etwas verlaufen. Du stehst gerade in der Entwicklungsabteilung. Die Marketingabteilung ist im zweiten Stock.«

Tja, was soll ich sagen? Dieses abstruse Erlebnis, das ich damals nur stirnrunzelnd zur Kenntnis nahm, sollte das erste seiner Art sein, dem im Laufe meiner Zeit in der Tech-Branche noch unzählige weitere folgen würden.

Mein Einstieg in die IT-Welt verlief eher zufällig. Ich wuchs als Tochter iranischer Einwanderer auf, die Mitte der 80er Jahre nach der Islamischen Revolution ihre Heimat verlassen hatten, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Mein Vater war Taxifahrer, meine Mutter arbeitete während meiner Kindheit in einem Elektronikfachhandel viele Jahre als Verkäuferin, bevor sie mit Anfang 40 eine Ausbildung zur Medizinisch-technischen Radiologieassistentin machte. Für meine Eltern, die beide nicht studiert hatten, stand nie außer Frage, dass ich, ihr einziges Kind, studieren werde. Und nicht einfach nur »irgendwas«. Nein, das Studium sollte mir finanzielle Unabhängigkeit ermöglichen und damit hoffentlich auch ein privilegiertes Leben, das ihnen selbst nicht vergönnt gewesen war.

Nach meinem Abitur mit 17 Jahren stand ich erstmal ziemlich planlos da. Das Wissen, dass spannende Fächer wie Geschichte oder Philosophie aufgrund der K.-o.-Kriterien meiner Eltern schon mal aus dem Raster fielen, machte die Studienwahl nicht leichter. Zudem lachten mich die einzigen beiden Vorschläge meiner Eltern – Medizin oder Jura – auch nicht wirklich an. Nach anfänglicher Planlosigkeit begann ich also, sämtliche Suchmaschinen zu durchforsten, und achtete hierbei nur auf zwei Dinge: gute Berufsaussichten und ein attraktives Gehalt. Die Suchmaschinen spuckten wiederum praktischerweise ausnahmslos den gleichen Studiengang als Top-Treffer aus, der beide Kriterien erfüllen sollte: Wirtschaftsinformatik. So entschied ich mich, ohne jegliche Vorkenntnisse, für diesen Studiengang und saß einige Wochen später in meiner ersten Softwareentwicklungs-Vorlesung. Und das, ohne vorher jemals auch nur eine Zeile Code in meinem Leben geschrieben zu haben. Zu meinem eigenen Erstaunen fand ich schon nach kurzer Zeit großen Gefallen an dem Studium, und der Grundstein für meinen Weg in die Tech-Welt war geebnet.

Während im Bachelorstudium noch gut 20 Prozent der Studierenden weiblich waren, war ich im Masterstudium als Frau, neben zwei sehr smarten Kommilitoninnen, eine absolute Rarität. Ich erinnere mich noch sehr gut an die irritierten Blicke und häufig auch spöttischen Kommentare meiner männlichen Kommilitonen, als ich mit meinen langen, rot lackierten Fingernägeln und dem nicht minder grellen Lippenstift neben ihnen in der Datenbanken-Vorlesung saß. Ihre Irritation wich am Ende des Semesters schierer Fassungslosigkeit, als ich das Modul – verschrien als klassisches Exmatrikulationsfach – als eine der Besten abschloss. Doch ich sollte schnell merken, dass die Erfahrungen, die ich während meines technischen Studiums sammelte, im Vergleich zu den Erlebnissen, die ich in der Arbeitswelt noch machen würde, absolut harmlos gewesen waren.

Nach meinem Masterabschluss entschied ich mich für einen Einstieg als IT-Prozessberaterin mit Fokus auf die Automobilindustrie bei dem größten europäischen Softwarekonzern. Wie im Consulting üblich, lief ich in meiner Anfangszeit erstmal bei einer sehr erfahrenen Kollegin mit. Diese Kollegin war allerdings nicht nur fachlich überaus kompetent, sie war auch sehr resolut. Davon abgesehen war sie aber vor allem auch eines: verdammt direkt. »Dir ist schon klar, dass du mit dieser ganzen Schminke im Gesicht und deiner Wallemähne niemals von irgendeinem Kunden ernst genommen werden wirst, oder?«, stellte sie gleich zur Begrüßung bei unserem ersten Zusammentreffen kopfschüttelnd fest. »Sorry, aber du wirkst wie eine inkompetente Tusse«, ergänzte sie am darauffolgenden Tag mit einem fassungslosen Blick auf meine offenbar nicht adäquat lackierten Fingernägel. Nun, mit »tussig« wäre ich vielleicht noch zurechtgekommen, aber inkompetent wollte ich beim besten Willen nicht wirken. Dafür hatte ich mir die Jahre zuvor in meinem Studium und unzähligen Praktika, Werkstudentenstellen und Aushilfsjobs zu sehr den Hintern aufgerissen. Ich band also fortan meine langen Haare streng zurück, benutzte kaum noch Make-up und trug gedeckte Farben.

Wie sich in den nächsten Monaten herausstellen sollte, änderte aber auch meine optische Transformation kaum etwas an dem wenig schmeichelhaften Bild, das die Kollegin von mir hatte. Die Tussen-Schublade, in die sie mich bereits nach wenigen Millisekunden unseres ersten Aufeinandertreffens gesteckt hatte, schien wohl ziemlich zu klemmen. Für meine Kunden passte ich – auch ohne roten Lippenstift oder meinen neongelben Lieblingsblazer – wiederum nicht in ihre Schublade eines klassischen SAP-Consultants. Die meisten konnten ihre Verwirrung über mein junges Alter in Kombination mit meinem Geschlecht und dem obendrein »untypischen« Erscheinungsbild nur schwer überspielen. Es war schwer zu übersehen, dass sie sich unter einer IT-Prozessberaterin, die sie bei ihren ERP-Implementierungs-Projekten unterstützen sollte, vieles vorstellten, aber definitiv nicht mich. Ich hingegen verübelte ihnen dies nicht einmal. Schon damals war mir bewusst, dass ich mich mit meiner Wahl für die IT, Beratung und Automobilindustrie für eine Kombination aus drei Welten entschieden hatte, in der ich als Exotin herausstechen würde. Es war also auch wenig verwunderlich, dass ich zunächst mit großer Skepsis von allen Seiten beäugt wurde. Den Zweifeln meiner Kunden wich jedoch glücklicherweise schon meist nach kurzer Zeit Faszination und oft sogar Bewunderung, wenn sie sahen, dass ich offensichtlich doch nicht so sehr auf den Kopf gefallen war, wie mein Erscheinungsbild sie automatisch annehmen ließ. Einer der wenigen Vorzüge, pauschal unterschätzt zu werden, liegt zumindest in genau jenem garantierten Überraschungseffekt.

Nach meiner Zeit in der klassischen Beratung begann ich, industrieübergreifend große IT-Projekte zu leiten. Damit war ich plötzlich Menschen fachlich überstellt, die in der Regel fast doppelt so alt waren wie ich und rund 20 Jahre mehr Berufserfahrung auf dem Buckel hatten. Nicht selten wurde ich in dieser Zeit von Kunden oder auch Kollegen beim ersten Aufeinandertreffen – mal mehr und mal weniger charmant – aufgefordert, den Kaffee zu bringen oder in Terminen Protokoll zu führen. Der ertappte Blick der jeweiligen Personen, als ich – mal mehr und mal weniger freundlich – darauf hinwies, dass ich die jeweiligen Projekte leite und weder die Projektassistenz noch die Praktikantin bin, wie man scheinbar automatisch angenommen hatte, sprach jedes Mal Bände. Der Übergang von fachlicher zu disziplinarischer Führungsverantwortung verstärkte dieses Phänomen zunehmend.

Nun leite ich als Führungskraft große Teams in der Tech-Branche und bin damit...

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