Leben, Tod und Selbstbestimmung - Über den Sinn des Lebens, den Umgang mit Schicksalsschlägen, das Altern und das Sterben

Leben, Tod und Selbstbestimmung - Über den Sinn des Lebens, den Umgang mit Schicksalsschlägen, das Altern und das Sterben

von: Denise Battaglia

Beobachter-Edition, 2016

ISBN: 9783038750277

Sprache: Deutsch

217 Seiten, Download: 2184 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Leben, Tod und Selbstbestimmung - Über den Sinn des Lebens, den Umgang mit Schicksalsschlägen, das Altern und das Sterben



Die Menschen sterben, wie sie gelebt haben


Die moderne Gesellschaft verdrängt den Tod. Dabei raten nicht nur die Philosophen der Antike, sondern auch Sterbende, die eigene Sterblichkeit früh(er) zu bedenken. Denn der Gedanke an den eigenen Tod kann uns bewusst machen, was wichtig ist und uns hilft, so zu leben, wie wir es wirklich möchten.

Wer sich mit dem Tod befasst, ist zufriedener und humorvoller


Menschen, die an den Tod denken, sind glücklicher, humorvoller und grosszügiger als jene, die dies nicht tun. Weil die meisten von uns aber Angst vor dem Ende haben, vermeiden wir diesen Gedanken und versuchen, so viel wie möglich in unser Leben zu packen. Leidet der Mensch an «Versäumnisangst» und verpasst die Gegenwart?

Neuere Studien zeigen, dass der Gedanke an den Tod den Menschen hilft, ihrem Leben Sinn zu verleihen. Menschen, die sich mit der eigenen Sterblichkeit befassen, sind demnach zufriedener mit ihrem Leben als jene, die sich damit nicht beschäftigen. Zufriedener seien sie vermutlich deshalb, weil sie ihre eigenen Wünsche, Ziele und Werte beim Gedanken an den Tod reflektieren und neu ordnen würden, interpretiert zum Beispiel der US-Psychologe Kenneth E. Vail von der Universität Missouri-Columbia die Ergebnisse seiner Studie. Menschen, die über den Tod nachdenken:

bleiben ihren Tugenden oder Prinzipien eher treu

bauen mehr liebevolle Beziehungen auf

sind gütiger und friedfertiger

sind im Ganzen zufriedener mit ihrem Leben

zeigen sich hilfsbereiter gegenüber Fremden

sind einfühlsamer, toleranter und gerechter

leben gesünder

finden die Geldvermehrung weniger wichtig als Menschen, die sich nicht mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigen

Die grossen Religionen praktizieren seit jeher den vorausschauenden Blick auf die eigene Endlichkeit zum Beispiel in Gebeten, Meditationen und schriftlichen Ermahnungen. In der christlichen Kultur nennt man diese gedankliche Tätigkeit memento mori: «Bedenke, dass du sterben musst!»

INFO Der Ausdruck memento mori ist eine Abkürzung von memento moriendum esse (bedenke, dass du sterblich bist). Die Bibel ermahnt an verschiedenen Stellen dazu, sich der eigenen Endlichkeit bewusst zu sein, so etwa in Psalm 90: «Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.»

Wer sich mit dem Sterben auseinandersetzt, ist deswegen nicht traurig oder niedergeschlagen. Im Gegenteil: Eine Studie aus den USA kam im Jahr 2013 zum Schluss, dass jene Menschen, welche die Studienleiter unterschwellig mit dem Tod konfrontierten, indem sie ihnen zum Beispiel während des Lösens einer Aufgabe am Computer für 33 Millisekunden das Wort «Tod» einblendeten, humorvoller und kreativer waren als jene, die sie «nur» mit dem Thema Schmerz konfrontierten.

Der Tod ist des modernen Menschen grösster Feind

Doch wir verdrängen meist, dass wir sterben müssen. Der Tod sei seit der Erfahrung der Pest, die im Mittelalter zwischen einem Viertel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung dahinraffte, unser grösster Widersacher, erklärt die deutsche Autorin Marianne Gronemeyer unser Verhältnis zum Tod. Wir betrachten ihn nicht mehr als Schicksal, über das wir keine Macht haben, sondern wir versuchen, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen. Seit der Neuzeit betrachte der Mensch den Tod als einen Makel der Natur, den es zu beheben gelte, sagt Gronemeyer. Deshalb ist die Lebensverlängerung seit rund 400 Jahren das Thema und Ziel der Medizin. Und die Sicherheit ist das Thema und Ziel aller staatlichen Aktivitäten. Der moderne Mensch möchte dem Tod möglichst viel Leben abringen.

«Tu nicht so, als ob du Tausende von Jahren zu leben hättest! Das Schwert des Todes schwebt schon über dir. Werde gut, solange du noch lebst, solange noch die Möglichkeit dazu besteht!»

Marc Aurel, Philosoph und römischer Kaiser

INFO Mehrere Studien bestätigen, dass die Menschen in modernen Gesellschaften den Tod zu verdrängen versuchen und nicht über das eigene Lebensende sprechen wollen. So sagten Ärzte in einer Befragung im Rahmen des Schweizerischen Nationalfondsprojekts «Lebensende», dass Patientinnen und Patienten das Thema abblocken würden, wenn Ärzte sie darauf ansprechen (mehr dazu auf Seite 175). Auch Familienmitglieder schätzten den Zustand eines Patienten oft zu positiv ein, weil sie nicht wahrhaben möchten, dass er sterben wird. Eine Studie in den USA zeigte: Die grosse Mehrheit der Patienten mit fortgeschrittenem Krebs, denen ihr Arzt sagte, dass ihre Krankheit nicht heilbar sei, man aber mit einer Chemotherapie womöglich die Schmerzen lindern oder den Verlauf etwas verzögern könne, hörte aus dem Gespräch das Gegenteil heraus; zwischen 60 und 80 Prozent glaubten, dass die angebotene Chemotherapie sie heilen könne (siehe Seite 169).

Warum ängstigt uns der Tod so sehr?

Weil das Lebendigsein an sich unser höchstes Gut ist, vermutet der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel, der sich in einem Essay mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Denn mit dem Tod habe all das Gute ein Ende, das uns das Leben bietet. Dazu gehört für ihn wahrnehmen, wünschen, handeln und denken zu können, obwohl diese Fähigkeiten nicht nur Freud, sondern auch Leid auslösen. Der Tod beraubt uns nicht nur jener Dinge, die wir noch erleben und haben könnten, er beraubt uns auch dessen, was wir bereits haben und geniessen: Er beendet unsere Beziehungen, unsere Aktivitäten, unsere Interessen und Leidenschaften, unsere Arbeiten und Vorhaben, unsere Freuden – für immer (sofern man, wie Thomas Nagel, nicht an ein Leben danach glaubt).

Es geht um den Lebenssinn

Ist es wirklich das blosse Leben, an das wir uns klammern? Es gibt doch auch Menschen, die nicht mehr leben wollen, die dem Leben nicht genug Gutes mehr abgewinnen können. Wie lebenswert wir unser Leben empfinden, hängt davon ab, ob wir es als erfüllt betrachten. «Ich kann ihm Sinn geben. Und wenn mir das nicht gelingt, finde ich das Leben häufig [...] unerträglich: Manche wollen dann lieber tot sein», sagt der deutsche Philosoph Ernst Tugendhat. Um meinem eigenen Leben Sinn zu geben, muss ich tätig werden, muss ich die Fähigkeiten, mit denen ich ausgestat tet bin, nutzen und aktivieren. Aber wie, werden Sie sich nun fragen, wie soll ich konkret leben, damit mein Leben erfüllend wird? Ernst Tugendhat hat darauf leider keinen allgemeinen Rat, «weil es eine Frage ist, die sich jedem einzelnen stellt».

Der Gedanke an den Tod zeigt mir, wie ich lebe

Jene, die leben, als ob sie ewig lebten, sehen offenbar weniger, was ihnen wichtig ist, als jene, die sich der eigenen Sterblichkeit bewusst sind. Der Tod wird somit zum Sinnstifter. Er erinnert mich daran, «dass ich nicht nur dies und das verfolge und befürchte, sondern eben – in all dem – lebe. Im Verhalten zum Tod – dem Ende meines Lebens – werde ich meines Lebens ansichtig», sagt Tugendhat. Oder in den Worten des römischen Philosophenkaisers Marc Aurel ausgedrückt: «Darüber musst du dir doch im Klaren sein, dass niemand ein anderes Leben verliert als das, was er lebt, und dass er kein anderes lebt als das, was er hingeben muss.»

Der moderne Mensch leidet an Versäumnisangst

Früher glaubte die Mehrheit der Menschen an ein ewiges Leben nach dem Tod, an ein Jenseits. Wir modernen Menschen dagegen rechnen in der Regel nur noch mit dem Diesseits. Damit ist unser Leben – eingespannt zwischen Geburt und Tod – deutlich kürzer als jenes unserer Vorfahren. Wenn aber das Leben im Diesseits unsere einzige und letzte Gelegenheit ist, dann «steigert sich die Verlustangst ins Unerträgliche», beschreibt Marianne Gronemeyer, die sich mit aktuellen Gesellschaftsphänomenen beschäftigt, das typische Leiden der heutigen Zeit. Der Mensch habe Angst, das Meiste, das Beste, das Wichtigste zu versäumen. Er leide an einer «Versäumnisangst» und versuche, so viel wie möglich in sein Leben zu packen. Dadurch sei er aber «getrieben wie eine brünstige Hündin», schreibt sie in ihrem Buch Das Leben als letzte Gelegenheit. Deshalb planen wir oft immer schon das Zukünftige, all das, was wir noch erleben und haben wollen, das, was noch nicht ist. Die Gefahr besteht, dass uns die Gegenwart, das wirkliche Leben, entgleitet und wir am Lebensende das Gefühl haben, keine Tiefe erlebt, das «falsche» Leben gelebt zu haben.

«Sinn erfordert Fülle, Fülle erfordert Zeit […]»

Karl Ove Knausgård, Schriftsteller

Der Tod ist uns nicht vertraut

Der Tod ist zwar in Bildern...

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